Zeigt ein Mensch ein übertrieben theatralisches Verhalten, buhlt er um Aufmerksamkeit und will stets im Mittelpunkt stehen, kann eine spezielle Form der Persönlichkeitsstörung vorliegen. Lesen Sie hier, woher diese Störung kommt und wie die histrionische Persönlichkeitsstörung behandelt wird.
Was ist eine histrionische Persönlichkeitsstörung?
Eine histrionische Persönlichkeitsstörung, abgekürztHPS, ist gekennzeichnet durchtheatralisches und manipulatives Verhaltensowie durch das Verlangen, stetsim Mittelpunkt stehenzu wollen. Die Betroffenen neigen zur Dramatisierung, ihre Stimmung kippt schnell und sie reagieren gekränkt, wenn sie nicht das gewünschte Maß an Aufmerksamkeit erhalten. Eingeordnet wird die HPS in das Spektrum derdramatisch-emotionalen Persönlichkeitsstörungen.
Zur Geschichte: Der Begriff „histrionische Persönlichkeitsstörung“ taucht als diagnostische Kategorieerstmals im Jahr 1980auf. Mitglieder der Amerikanischen Psychiatrischen Gesellschaft (APA) haben damals den veralteten, negativ belegten Begriff der Hysterie weiterentwickelt und diesen in drei Gruppen von Störungen aufgespalten:Konversionsstörungen,dissoziative Störungenundhistrionische Persönlichkeitsstörung. Die Krankheitszeichen können einzeln auftreten, aber auch gemeinsam beim selben Patienten.
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Welche Bedeutung hat das Wort „histrionisch“? Der Begriff kommt aus dem Lateinischen: Mit dem Substantiv „histrio“ bezeichnete man im antiken Rom einen Schauspieler. Experten gehen davon aus, dass in der Bevölkerung etwas zwei bis drei Prozentan dieser Form der Persönlichkeitsstörungleiden. Frauen und Männer sind davon gleichermaßen betroffen. Zu unterscheiden ist die histrionische Persönlichkeitsstörung von einemhistrionischen Persönlichkeitsstil: Letzterer meint eine weniger starke Ausprägung der histrionischen Züge und gilt nicht als krankhaft.
Menschen mit einem histrionischen Persönlichkeitsstil gelingt es häufig, sich selbst besonders eindrucksvoll darzustellen. Sie werden oft als sehr gesellig, liebenswürdig, lebhaft und offen wahrgenommen. Daher verwundert es nicht, dass sich unterProminentenviele Menschen mit histrionischen Zügen finden. Der Diplompsychologe Prof. Dr. Rainer Sachse nennt als BeispieleMarilyn Monroe, Elizabeth Taylor, Mariah Careyund dieKardashian-Schwestern. Auch in Filmen werden histrionische Persönlichkeiten immer wieder thematisiert, etwa mitGollumin den „Der Herr der Ringe“-Filmen undAudrey HepburnalsHolly Golightlyin „Frühstück bei Tiffany“.
Was sind die Ursachen der histrionischen Persönlichkeitsstörung?
Wie bei allen Persönlichkeitsstörungen handelt es sich bei der histrionischen Persönlichkeitsstörung um einabnormes Wahrnehmungs- und Verhaltensmuster. Dieses wirkt sich auf das gesamte Denken, Fühlen und Handeln des Betroffenen aus und hat dadurch negative Folgen für dessen Alltag. Woher die Probleme kommen, ist noch nicht eindeutig geklärt. Experten vermuten, dass eine histrionische Persönlichkeitsstörung durch ein komplexes Zusammenspiel vonbiologischen und psychologischen Faktoren sowie Umweltfaktorenentsteht.
Viele Psychoanalytiker vertreten die Ansicht, dass die Ursachen in derKindheitzu suchen sind. War dasVerhältnis zu den Elterngestört und haben sich diese dem Kind gegenüber kalt und kontrollierend benommen oder ihm ein falsches Bild von Liebe und Wertschätzung vermittelt, kann der Betroffene Probleme mit seinemSelbstwertgefühlund dadurch letztendlich eine histrionische Persönlichkeitsstörung entwickeln. Histrioniker haben gelernt, durch übertrieben emotionales Verhalten oder durch eine gezielte Dramatisierung von SituationenAufmerksamkeitund Unterstützungvon ihren Mitmenschen zu erhalten.
Unterschieden wird die HPS nachfünf Subtypen:
- Dertheatralische Typusschlüpft mühelos in verschiedene Rollen,
- derhypomaneTypusreagiert häufig sprunghaft und impulsiv,
- derinfantile Typuswird von der Angst getrieben, verlassen zu werden,
- derschmeichelnde Typusstrebt nach Bewunderung,
- derverschlagene Typusversucht, andere zu manipulieren und zu kontrollieren.
Histrioniker wollen immer das Zentrum der Aufmerksamkeit sein. (c) koldunova_anna / Fotolia
Was sind die Symptome der Störung?
Die ersten Symptome einer histrionischen Persönlichkeitsstörung zeigen sich meist imJugendalter oder der frühen Adoleszenz. Typisch ist eineübermäßige Emotionalität, ein rasch wechselnder Gesichtsausdruck, eine leichte Beeinflussbarkeit und das permanente Streben nach Aufmerksamkeit. Um Beachtung zu finden, legen viele Betroffene großen Wert auf ihr Äußeres und/oder pflegen wechselnde sexuelle Kontakte.
Steht der Histrioniker bzw. die Histrionikerin nicht im Mittelpunkt, fühlt er bzw. sie sich unwohl. Zahlreiche Betroffene empfinden Beziehungen und Freundschaften als enger als es tatsächlich der Fall ist und verhalten sich gegenüber Kollegen oder platonischen Freunden unangemessen sexuell und verführend. Diese Persönlichkeiten beschreiben sich selbst, ihre Gefühle und Erlebnisseübertrieben dramatisch, ohne dabei jedoch wirklich ins Detail zu gehen. Ein solch wenig präziser Denk- und Sprachstil wird„impressionistisch“genannt.
Dazu können weitere Verhaltensweisen kommen wieEgozentrik und Narzissmus, eine erhöhte Kränkbarkeit und anhaltende Versuche, andere zu manipulieren. Es gibt Histrioniker, die Selbstmordversuche unternehmen oder andeuten, um die ersehnte Aufmerksamkeit zu erhalten. Nicht selten geht die histrionische Persönlichkeitsstörung mit weiteren gesundheitlichen Problemen einher, etwa einerAngststörung,einer Dissoziation, einerDepressionoder psychosomatischen Beschwerden. Man spricht dann von einerKomorbidität. Auch gemeinsam mit einerBorderline-Persönlichkeitsstörungwird die HPS häufig beobachtet.
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Wie erkennt der Arzt eine histrionische Persönlichkeitsstörung?
Betroffene empfinden ihr Verhalten selbst typischerweise nicht als krankhaft oder problematisch. Dennoch suchen sie im Durchschnitt öfter als Menschen mit anderen Persönlichkeitsstörungen einen Arzt oder einen Therapeuten auf – allerdings nicht wegen ihrer HPS, sondern wegen anderer Leiden wie zum Beispiel einer (vermuteten)Depression. Schließlich gehört es zu ihrem Persönlichkeitsbild, nach Unterstützung und Anerkennung zu streben.
Seine Diagnose stellt der Psychiater oder der Psychotherapeut anhandstandardisierter Tests. Dabei wird mithilfe vonFragebögenoderInterviewszunächst das Vorliegen einer Persönlichkeitsstörung ermittelt und diese anschließend genauer bestimmt. Wichtig ist, die histrionische Persönlichkeitsstörung von anderen Störungen wie einerAufmerksamkeitsdefizit- bzw. Hyperaktivitätsstörung, kurzADHS,und einer dissoziativen Bewusstseinsstörung zu unterscheiden. Aufgrund der ähnlichen Symptomatik kommt es hier immer wieder zu Fehldiagnosen.
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Wie wird eine histrionische Persönlichkeitsstörung behandelt?
Die Therapie einer histrionischen Persönlichkeitsstörung istaufwendig und langwierig. Dabei ist es unabdingbar, dass der Betroffene Einsicht zeigt und zusammen mit dem Therapeuten an einer Verbesserung seiner Situation arbeiten will. Infrage kommen einekognitive Verhaltenstherapieund/oder einetiefenpsychologisch fundierte Therapie. Ziel jeder Behandlung ist es, dem Betroffenen einstabileres Selbstbildzu vermitteln und ihm Werkzeuge für eine effektive Selbstkontrolle an die Hand zu geben.
Langfristig soll der Patient lernen,feste zwischenmenschliche Beziehungen aufzubauen, sein sprunghaftes, manipulatives Verhalten abzulegenund sich persönlicheLebenszielezu stecken. Außerdem soll der Betroffene seine Bedürfnisse gegenüber anderen zurückschrauben und dadurch ein StückAutonomiegewinnen. Spezielle Medikamente gegen eine histrionische Persönlichkeitsstörung gibt es nicht. In manchen Fällen kommen jedochPsychopharmakazum Einsatz, um Begleiterscheinungen wie Depressionen und Angststörungen zu behandeln.
Die Gefühlsausbrüche der Patienten, ihr Wunsch zu gefallen und ihre Tendenz, Probleme zu dramatisieren, erschweren die Behandlung. Der Therapeut muss dem Betroffenenklare Grenzenaufzeigen und Regeln aufstellen, damit die Zusammenarbeit funktioniert. Nicht selten kommt es trotzdem zu Rückschlägen oder Therapieabbrüchen. Umso wichtiger ist es, dieAngehörigenin die Psychotherapie miteinzubeziehen. Im Umgang mit dem histrionisch-narzisstischen Charakter müssen Partner und Familienangehörige lernen, Geduld und Empathie zu zeigen. Dazu bedarf es einerdetaillierten Aufklärungüber die Ursachen und Symptome der histrionischen Persönlichkeitsstörung.
Eine HPS kann in fünf verschiedene Typen aufgeteilt werden. (c) lassedesignen / Fotolia
Wie kann ich der Störung vorbeugen?
Als Erwachsener einer histrionischen Persönlichkeitsstörung vorzubeugen, ist nicht möglich. Da die Ursachen vermutlich in der Kindheit liegen, sollten Eltern versuchen, ihrem Kind die Liebe und Anerkennung zu geben, die es braucht, um ein starker Charakter zu werden.
Eine wichtige Rolle spielt hierbeieine stabile Mutter-Kind- bzw. Vater-Kind-Beziehung, die es dem Nachwuchs ermöglicht, eineeigene Identitätzu entwickeln.
Wie sind die Heilungschancen bei einer histrionischen Persönlichkeitsstörung?
Vollständig heilbar ist eine histrionische Persönlichkeitsstörung nicht. Es ist jedoch möglich, durch eine langjährige Therapie Verhaltensauffälligkeiten in den Griff zu bekommen. Dabei kann es sinnvoll sein, einige Jahre nach Abschluss der ersten Therapie eineerneute Psychotherapiedurchzuführen, um dieFortschritte des Patientenzu überwachen.
Das Ziel jeder Behandlung ist es, den Patienten erfolgreich ins Arbeits- und Privatleben zu reintegrieren. Je nach Schwere und Ausprägung der histrionischen Persönlichkeitsstörung kann es notwendig sein, dem Betroffenenlebenslang psychotherapeutische Hilfeanzubieten.
Grundvoraussetzung für jeden Therapieerfolg ist dieKrankheitseinsichtdes histrionischen Charakters. Da diese anfangs meist fehlt, sind die Betroffenen auf das Urteil ihrer Partner oder ihrer Angehörigen angewiesen. Wer in einer Partnerschaft mit einem Histrioniker oder einer Histrionikerin lebt oder eine familiäre Verbindung zu einem Menschen mit histrionischer Persönlichkeitsstörung hat, trägt also einegroße Verantwortung: Die Angehörigen sollten versuchen, das Vertrauen des Betroffenen zu gewinnen und ihn behutsam zu einem Arztbesuch anregen, damit der erste Schritt für eine erfolgreiche Behandlung gelingt.